Warum so viele Rheinhessen im 19. Jahrhundert nach Amerika gingen
Mainz-Hechtsheim. Die Adresse eines reichen und kinderlosen entfernten Verwandten, dessen Vorfahren im 18. oder 19. Jahrhundert aus Hechtsheim in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren, hatte Dr. Helmut Schmahl für die 80 Zuhörerinnen und Zuhörer seines Vortrags über die „Neue Heimat Amerika“ nicht dabei. Auf Einladung des Vereins Hechtsheimer Ortsgeschichte referierte der Privatdozent und anerkannte Kenner rheinhessischer Migrationsgeschichte über Auswanderungen aus Hechtsheim und Rheinhessen nach Nordamerika.
Rund sechs Millionen Deutsche siedelten zwischen 1830 und 1920 in die USA über, darunter schätzungsweise 50.000 aus Rheinhessen, die sich vor allem in den industriell entwickelten Nordoststaaten sowie im agrarischen Mittleren Westen niederließen. Bis heute deuten Namen wie Mentz im Staat New York und New Mentz in Texas, beides, so Schmahl, die dialektale Umschreibung von Mainz oder Städte- und Dorfnamen wie Oppenheim und Worms und das mittlerweile aufgegebene Alzey am Ohio-Fluss auf die Herkunft ihrer ersten Bewohnerinnen und Bewohner hin. Doch während die Dörfer im südlichen Rheinhessen hohe Auswanderungszahlen aufwiesen, waren sie in Hechtsheim und anderen Dörfern rund im Mainz entschieden geringer.
Grundsätzlich sei die Ausgangssituation in ganz Rheinhessen ähnlich gewesen, so Schmahl: „Ein hohes Bevölkerungswachstum, allein zwischen 1880 bis 1885 hat sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt; die Realteilung der Grundstücke beim Tod des Vaters führte zu immer mehr Bauern mit immer kleineren Äckern, den sogenannten Handtüchern, die keine Familie mehr ernähren konnte und alles fruchtbare Land war bereits urbar gemacht, also kein Zuwachs z.B. durch Rodungen“. In Hechtsheim hatte sich die Einwohnerzahl zwischen 1815 und 1905 zwar nahezu verdreifacht, doch durch die räumliche Nähe zu Mainz und vor allem durch den Bau des Festungsgürtels rund um die Stadt ergaben sich zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft. „Damit sank die Notwendigkeit, sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in andere Länder zu begeben“. Zwar findet sich in den Vereinigten Staaten kein Ortsname, der auf Siedlerinnen und Siedler aus Hechtsheim schließen lässt, doch Hechtsheimer Herkunft lässt sich trotzdem nachweisen: So die Familie Johann Martin Klein, deren Sohn Jacob, 1845 in Hechtsheim geboren, es in St. Louis als Kreisrichter und Anwalt zu hohem Ansehen brachte. Oder August Wilhelm Lindenstruth, 1842 in Hechtsheim geboren und 1898 in St. Louis verstorben, der auf Seiten der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte.
Wie eng die Bindungen zwischen den ausgewanderten Hechtsheimern und ihrer früheren Heimat waren, so Schmahl, zeigten Berichte in den lokalen amerikanischen Zeitungen. So berichtet das „Wochenblatt“ aus Scranton in Pennsylvania am 21. Februar 1896, „die hiesige (Hechtsheimer) Turngemeinde hat den Garten des Herrn Jakob Schäfer VII angekauft und wird denselben als Turnplatz benutzen“.